Freie aus dem DJV diskutierten in Bautzen über Chancen im Lokaljournalismus. Foto: Jürgen Männel
Journalistisch jenseits der Medienmetropolen arbeiten – das scheint dir auf den ersten Blick schwierig und auch langweilig. Weil du den Kontakt mit der vermeintlich wahren Welt suchst, strebst du ins Zentrum. Was aber auch heißt, dass du dich hier mit anderen Freien häufig um die gleichen Themen balgst, die Pressekonferenzen überfüllt sind und durch dutzendfach gleiche Wahrnehmung der Wirklichkeit kitschige Klischees ins gesamte Bundesgebiet geschleudert werden, so wie die „Latte trinkenden Mütter vom Prenzelberg“ (die es allerdings auch in Oberdeggendorf* gibt). Dabei findet ein wesentlicher Teil der Lebensrealität der Deutschen woanders statt. Dort warten auch viele gute Geschichten aus Gebieten, die in gutem Denglisch als underreported qualifiziert werden dürfen.
Wo das Hinterland beginnt
Es beginnt schon beim Begriff: niemand in Deutschland möchte als Hinterland qualifiziert werden. Der Begriff wird als provozierend und abwertend empfunden. Auch das in Frankreich häufig verwendete Wort der Provinz wird aus gleichem Grund selten genutzt. Die Regionen, das Regionale, das Land und ländliche Regionen – das sind eher Begriffe, die akzeptiert werden. Es geht in jedem Fall um einen Bereich, der immer wieder aus dem Fokus der großen Leitmedien herausfällt, weil wer aus Bürotürmen am Hamburger Hafen oder neben der Frankfurter Skyline schreibt, von dort eher die Wolkenkratzer von New York zu sehen meint statt das schäbig scheinende Drumherum in der Fläche. Die Ignoranz der Großen ist aber auch deine Chance.
Was sich im Hinterland versteckt
Ein wesentlicher Teil der deutschen Wirtschaft läuft in den Regionen ab, in verschwiegenen Wäldern und Tälern, wo das Bauland für Fabriken günstig und die Arbeitskräfte billig sind, weil die Bevölkerung längst nicht so hohe Mieten wie in den Metropolen zahlen muss. Wenn du einige Kilometer durch die Gegend fährst, entdeckst du eine Firma, die mit einem dir bis dato komplett unbekannten Produkt Weltmarktführer ist. Ein Handelshaus hat sein Logistikzentrum daneben angesiedelt, und ein Restaurant der Spitzenklasse befindet sich auf einem jahrhundertealten Schloss nebenan.
Die Abgeordneten Deines Wahlkreises sind im Bundestag von entscheidender Bedeutung, weil sie im Haushaltsausschuss oder der Fraktionsführung sitzen, und dein Vorteil ist: In ihrem Wahlkreisbüro haben sie viel mehr Zeit für ein Interview als in den hektischen Sitzungswochen in Berlin. Ein Forschungsinstitut wurde mit Hilfe lokaler Mäzene und mit europäischen Geldern zu einer ersten Adresse für die Wissenschaft ausgebaut. Und zu deiner Überraschung findet sich in der Nachbargemeinde der Sitz eines Spezialverlags zu einem Thema, das dich schon immer beschäftigt hat. Das alles sind Chancen, die sich dir jenseits der Metropolen bieten.
Wo deine Kundenkreise liegen können
Wenn du im Regionalen arbeitest, fällt Dein Blick naturgemäß auf die lokale Tageszeitung. Und unter Umständen deren Blick auch auf dich. Was du für sie tun kannst, ist grundsätzlich unerschöpflich. Terminberichterstattung, Fotografie, eigene Geschichten anbieten, Tagesschichten, Seitenbau, Online-Redaktion per Pauschale und so weiter.
Natürlich solltest du auch die nächstgrößere Regionalzeitung anvisieren, die zumindest ab und zu Lokalthemen nimmt, wenn sie für die Region Bedeutung haben können oder einfach außerordentlich interessant erscheinen. Aber vielleicht merkst du bald, dass wie so oft an Tageszeitungen die Honorare nicht stimmen und nicht einmal Kilometergeld gezahlt wird. Versuche dann auf jeden Fall mit der Geschäftsführung zu verhandeln! Der Fachkräftemangel macht die Medienhäuser kompromissbereiter. Aber wenn es bei der Zeitung nicht so richtig läuft, nutze sie nur noch ab und zu, damit dein Name ab und zu mal in der Zeitung erscheint, was für den Kontaktaufbau im Journalismus niemals schaden kann.
Jenseits der Zeitung kannst du natürlich auch die lokale oder regionale Anzeigenzeitung und entsprechende Formate bedienen, allerdings sind auch hier die Honorarsätze meistens sehr niedrig. „Macht nichts“, sagte dazu einmal ein junger Student, „dafür können diese Texte ohne große Mühe schnell geschrieben werden!“ Eine interessante Auffassung zum Umgang mit journalistischer Qualität, die wir dir allerdings nicht empfehlen können. Also wühle in den Gelben Seiten (über die du bislang stets mit stolzem Blick hinweggeschaut hast) oder studiere die regionalen Stellenanzeigen, in denen solche Firmen oft nach Mitarbeitenden für Redaktionstätigkeiten suchen.
Eine Chance kann darin bestehen, im Regionalen ansässige Fachmedien ausfindig zu machen. Manche liegen in der nächsten Kleinstadt, nur hast du dir nie die Mühe gemacht, deine Region wirklich zu screenen. In diesem Fachmedium werden nicht nur Freie für gelegentliche Beiträge gesucht, sondern auch für die fest-freie Tätigkeit in der Redaktion.
Dabei solltest du dir auch klarmachen: Viele interessante Online-Medien werden nicht von Firmen mit dem klingenden Namen „Verlagshaus“ herausgegeben, sondern von Druckhäusern, Werbeagenturen oder anderen Geschäften. Hier hat sich die Online-Redaktion eher zufällig gebildet und freut sich über tatkräftige Hilfe von Deiner Seite.
Natürlich solltest du auch das lokale Radio und Fernsehen als Kunden prüfen, sowohl die Öffentlich-Rechtlichen als auch die Privaten. So gibt es in Bayern mit freundlicher finanzieller Unterstützung der Landesregierung ein äußerst reichhaltiges Privatfernsehen mit vielen Aufgaben für Freie. Wobei es auch sein kann, dass nur mit Angestellten zusammengearbeitet wird. Dann wechselst du eben für eine Weile in eine (Teilzeit-)Beschäftigung.
Wenn du keine Berührungsprobleme mit dem Thema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hast, bieten sich dir weitere Möglichkeiten. Weil es im Regionalen zahlreiche hidden players mit viel finanziellem Spielraum gibt, kommt eine Mitarbeit in den Pressestellen der Unternehmen in Betracht, genau wie zahlreiche andere Vereine, Stiftungen, Kirchen und auch lokale Behörden Unterstützung benötigen.
Auch hier kann es sein, dass diese mit dir nur auf Basis eines Anstellungsverhältnisses zusammenarbeiten wollen, weil die Steuer- und Sozialgesetze in den Regionen manchmal ernster genommen werden als in den flotten Medienmetropolen, in denen Medienhäuser und Sendeanstalten staatliche Vorschriften mal gerne auf die leichte Schulter nehmen.
Home Office total oder jedenfalls hybrid: aus dem Lokalen in die Metropolen funken
Durch die Pandemie mit dem Buchstaben C ist das Home Office auch in den (ohnehin sparsamen) Medienhäusern akzeptiert worden. Zahlreiche Stellen über das gesamte Bundesgebiet können aus dem heimischen Büro ausgeübt werden, frei oder – wenn du es möchtest, es wird dir sogar die Wahl gelassen – in Anstellung. Du bekommst eine VPN-Verbindung zum Medienhaus und Zugang zu dessen Content-Management-System und machst anschließend ganz normale Schichtarbeit in der Redaktion.
Gut zu wissen: So manche Frühschicht in Deutschland findet ganz wenig Interesse, weil im Journalismus gerne bis mindestens 8 Uhr morgens ausgeschlafen wird. Wenn du also gerne schon um 5 Uhr deinen Kaffee kochst und zuverlässig um 6 Uhr auf der (digitalen) Matte stehst, kannst du mit einiger Wahrscheinlichkeit (frei oder angestellt) irgendeine Frühschicht zwischen Garmisch-Patenkirchen und Elmshorn übernehmen.
Dein großer Vorteil ist die motivierende Kostenrechnung: Der Geiz der Medienhäuser führt zwar auch nicht zu bombastischen Honoraren oder Löhnen, aber deine verglechsweise niedrige lokale Miete macht das bei Weitem wieder wett. Lass Dich nicht von Formulierungen über hybrides Home-Office von einer Bewerbung abschrecken, sondern verhandele darüber, was das konkret bedeuten soll. Einmal im Monat an das Elbe- oder Mainufer zu fahren, ist für das Teambildung in der Redaktion durchaus sinnvoll und kann unter Umständen sogar unterhaltsam sein, weil ein anschließender Abstecher ins Schanzenviertel bzw. in Frankfurt nach Sachsenhausen immer noch drin sein sollte.
Denk daran: Im DJV hatten wir sogar schon mal ein Mitglied, das (wegen der „Prognose“ und damit zusammenhängender Begrenzung der monatlichen Arbeitstage) jeweils acht Tage beim NDR arbeitete, anschließend acht Tage beim Saarländischen Rundfunk. Ein wenig herumfahren (mit entsprechenden Übernachtungen) geht also schon, wenn das Honorar bzw. das (Teilzeit-)Gehalt stimmt. Natürlich solltest du die Kosten für das hybride Pendeln vom Medienhaus übernehmen lassen – das sorgt dann auch dafür, dass es nie zu oft passiert.
*Falls Du noch nie in Oberdeggendorf warst, gehört es ab jetzt auf Deine journalistische bucket list.