Jeder Mensch hat seine Stärken: Die eine formuliert geschliffen und weiß alles über Handball, der andere ist ein technikaffiner Theater-Fan und kann auch größere Projekte strukturiert angehen. Das sind auch journalistische Pfunde, mit denen sich wuchern lässt. Wenn du die Tür zum Einstieg suchst, dann können dir deine Hobbys oder früheren Tätigkeiten einen Schub geben. Mach die personelle Inventur und frage dich: Wofür interessiere ich mich? Was kann ich besser als andere? Wobei habe ich Erfahrung?
Was habe ich zu bieten?
Okay, du hast dich ja vermutlich für den Journalismus entschieden, weil du gern schreibst oder eine Botschaft vermitteln willst. Aber verlass dich nicht allein auf deine Wünsche. Reichere sie mit deinen verborgenen Schätzen an. Denn das sind die Pfunde, mit denen sich wuchern lässt. Was sind das für Schätze?
1. Deine Interessen:
Das sind die Gebiete, zu denen du einen besonders tiefen Bezug hast. Die Themen, mit denen du dich sehr gern beschäftigst. Kochst du gern asiatisch? Hast du ein Faible für südamerikanische Tänze? Dann solltest du solche Themen darauf abklopfen, ob dich dein Hobby auch beruflich weiterbringen kann.
Wieso das? Versetze dich einfach mal in die Situation von möglichen Auftraggebern. Die machen ein Heft für Jäger und Angler oder einen Podcast zu alternativen Heilmitteln für Pferde. Da sucht man dann schon mal händeringend nach Autoren, denen die Leser- oder Hörerschaft nicht nach dem zweiten Satz anmerkt, dass sie einfach nicht im Thema sind.
Es muss aber gar nichts Exotisches sein. Beispiel: Ein Kollege, dem in seinem bisherigen Arbeitsbereich, der Reise, das wichtigste Standbein weggebrochen war, versuchte lange vergeblich, dafür passenden Ersatz zu finden. Erfolgreich wurde die Sache erst, als er daran erinnert wurde, dass er als Jugendtrainer beim örtlichen Fußballverein tätig ist. Da müsse doch etwas draus zu machen sein? Heute ist eines seiner Standbeine das Redaktionshandling der Berichterstattung zu den lokalen Fußballvereinen. Ein Job, wie maßgeschneidert für ihn.
2. Deine Fähigkeiten:
Darunter verstehen wir hier die Dinge, die du vielleicht nicht besonders gern machst (das waren deine Interessen, siehe oben), aber besonders gut kannst. Organsiationstalent, Recherchefähigkeit, schnelles Schreiben. Solche Sachen. Aber auch Fähigkeiten, die du zunächst mal nicht in Verbindung mit dem Journalismus bringst: gut mit Menschen umgehen, geschickt verhandeln, Fremdsprachen beherrschen, technische Abläufe lenken.
Tipp: Viele Fähigkeiten sind dir vermutlich selbst gar nicht so bewusst. Frage deshalb Freunde, Verwandte, Kollegen, was sie bei dir als deine besonderen Fähigkeiten wahrnehmen.
Hier sind noch einige Fragen, die dir vielleicht helfen, wichtige Fähigkeiten zu identifizieren:
- Was kann ich besonders gut?
- Wo bin ich besser als andere?
- Was fällt mir besonders leicht?
- Was schaffe ich, ohne dass es mir Stress bereitet?
Einige Beispiele für journalistische Fähigkeiten, die sich in Stärkepositionen umsetzen lassen, sind: Superauge für Rechtschreibung, Hartnäckigkeit bei der Recherche, Talent beim Glossenschreiben, Lust zum Sprachwitz, Ruhe vor dem Redaktionsschluss, ein Händchen für ansprechende Optik.
3. Deine Erfahrungen:
Nicht umsonst verlangen Personalabteilungen bei Bewerbern einen Lebenslauf. Nimm dir ein Stück Papier (oder das Tablet) und liste mal auf, was du schon so alles an praktischer Erfahrung gesammelt hast.
Dazu gehören nicht nur deine beruflichen Stationen, sondern auch andere Lebenserfahrungen wie ein Auslandsaufenthalt, ehrenamtliche Tätigkeiten (Rettungssanitäter, Kirchenvorstand) sowie jetzige und frühere Hobbys (Rockband, Handballtrainerin).
4. Das Zusammenspiel:
Das ganze Wühlen in deinen verborgenen Schätzen hat natürlich einen Sinn. Es macht dich einzigartig. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dir bewusst zu machen, welche deiner Interessen mit welchen Fähigkeiten und welchen Erfahrungen ein spannendes Gesamtpaket ergeben können, auf dem sich aufbauen lässt. Deine persönliche Stärke fußt auf deiner Individualität und deiner Einzigartigkeit. Wenn sich dann noch deine Interessen, Fähigkeiten und Erfahrungen mit deinen beruflichen Zielen verbinden, dann wirst du unschlagbar!
Wie schärfe ich mein Profil?
Viele Freie sind schon froh, wenn sie überhaupt Aufträge bekommen und nehmen dann auch mehr oder minder alles an, was sie bekommen. Das Problem: Wer überall ein bisschen nascht, der verzettelt sich in der Regel. Viel hilfreicher wäre es, Aufträge zu akquirieren, die zu den eigenen Interessen, Fähigkeiten und Erfahrungen passen und diese im besten Fall noch weiter ausbauen. Wie kann das gelingen? Indem du dir ein klares Profil zulegst. Darum soll es in diesem Absatz gehen.
Die scharfe Nase, das entschlossene Kinn: Das Profil sind in der Fotografie und Malerei die äußeren Linien, die dein Gegenüber erkennt und aus denen er auf die inneren Werte schließt. Genauso wollen wir es hier auch machen: Dein journalistisches Profil soll dazu dienen, dass du am Markt erkennbar wirst und durch ein klares Nutzenangebot das Interesse von Auftraggebern weckst.
Wie kann das gelingen?
Das Zauberwort hierzu lautet Nischenstrategie. Statt jedem alles anzubieten und am Ende beliebig und austauschbar zu sein, präsentiert sich die erfolgreiche Freie als Spezialistin, ach was, als einziger Profi in einem Segment, das sie nicht selten selbst erst geschaffen hat.
„Operativer Erfolg heißt, dass man im selben Rennen schneller läuft. Strategie heißt dagegen, sich für ein anderes Rennen zu entscheiden, weil man sich darauf vorbereitet hat, es zu gewinnen“, sagt der Harvard-Professor Michael Porter, von dem wir noch mehr hören werden.
Was kann jetzt das andere Rennen sein? Dazu hilft eine Übung. Stell dir vor, du läufst auf einer Pressekonferenz deinem absoluten Wunschauftraggeber in die Arme und er fragt die Frage aller Fragen: „Was machen Sie denn so?“ Jetzt hast du 30 Sekunden Zeit, ihm den unmittelbaren Nutzen zu schildern, den du für ihn schaffen kannst. Los!
Beispiele, die der Journalist Stefan von Andrian zusammengetragen hat, sind diese:
„Ich bin Feuerwehr für Redaktionen und Menschen in Textnot.“
„Ich lasse Menschen Geschichten erzählen und erzähle sie weiter.“
„Ich bringe Entwicklungen in der Umwelt an die Öffentlichkeit – sie recherchieren, beschreiben, aufzeigen und als Geschichten erzählen, das ist meine Aufgabe.“
Ganz gleich, ob thematische Tiefe, crossmediale Techniken oder Know-how über attraktive Zielgruppen: Es gibt viele Nischen, die noch niemand besetzt hat und die dich reizen könnten. Welche Themen, welche Erfahrungen, welche Arbeitsformen beherrschst du bereits oder willst du in den kommenden Jahren zur Meisterschaft entwickeln? Das ist genau das Material, aus dem deine Profilschärfe und damit deine Positionierung entsteht.
Wie mache ich mich jetzt stark?
Im ersten Schritt hast du dir klargemacht, was du zu bieten hast und wo du einfach besser bist. Im zweiten Schritt hast du daraus ein klares journalistisches Profil geschnitzt. Jetzt wird es Zeit, beides, deine Stärken und dein Profil, umzusetzen in Wettbewerbsvorteile, so dass du in unserer schwierigen Branche ein vernünftiges Auskommen findest.
Was sind Wettbewerbsvorteile? Du kannst so sehr brennen für den Journalismus wie du magst und die besten Features über ein Thema schreiben, bei dem sich keine so gut auskennt wie du. Ein angemessenes Honorar wirst du nur aus einer Position der Stärke heraus erzielen. Als Freie musst du deshalb alles dafür tun, um in eine günstige Ausgangsposition deinen Auftraggebern und deinen Konkurrenten gegenüber zu gelangen. Michael Porter würde sagen: Du brauchst Wettbewerbsvorteile.
Porter ist kein Journalist, sondern ein berühmter Professor an der Harvard Business School. Was er – für einen Wissenschaftler sehr gut lesbar – beschreibt, ist, warum es in jeder Branche einzelne Branchenteilnehmer und warum es ganze Branchen gibt, die besser verdienen und erfolgreicher am Markt operieren als andere. Und genau darum geht es dir ja auch. Du willst dich allen Schwierigkeiten zum Trotz durchsetzen.
Was Porter als Ziel ausgibt, nennt er die optimale Positionierung. Die Idee dahinter ist ungewohnt, aber irgendwie logisch: Wo die klassische Lehre den perfekten Markt fordert, sucht er die kleinen Unperfektheiten in jeder Branche und macht sie sich zunutze. Das tut er systematisch: Er hat fünf grundlegende Branchenkräfte definiert, und nimmt sie sich unter die Lupe, eine nach der anderen:
Verhandlungsmacht der Lieferanten:
Die Lieferanten in der Welt der Redaktionen und Verlage – das sind wir Journalisten. Und unsere Verhandlungsmacht ist leider viel zu klein. Denn wir sind in der Regel ausreichend vorhanden und weitgehend austauschbar. Erhöhen kannst du deine persönliche Verhandlungsmacht z.B.,
- indem du dir Nischen und Themen suchst, die wichtig bis unverzichtbar sind
- wenn es außer dir nur weniger oder gar keine anderen Anbieter gibt
- wenn der Kunde dich nicht ausbooten kann, indem er das, was du anbietest, selbst macht
- wenn ein Wechsel vom Lieferanten (also dir) zu einem anderen erhebliche Kosten und Unsicherheiten brächte.
Beispiel: Wenn du z.B. als Motorjournalist durchstarten willst und fit in technischen Dingen bist, dann könntest du dich auf verbraucherorientierte Vergleiche spezialisieren. Denn Nutzwertthemen brauchen die Redaktionen und damit bist du weniger austauschbar als mit Porsche-Tests, die alle machen wollen.
Verhandlungsmacht der Kundschaft
Die Kundschaft: Das sind bei uns die Redaktionen, die Verlage, deine Abnehmer. Deren Macht ist in den typischen Lokalredaktions-Konstellationen viel zu hoch; viele haben sogar ein Monopol. Verringern kannst du ihre Macht u.a.,
- indem du nicht nur auf einen Hauptabnehmer setzt, sondern auf ein breiteres Kundenportfolio
- indem du dir Kunden suchst, die nicht von Angeboten überschüttet werden
- und indem du auf Themen setzt, die wenig angeboten, aber stark nachgefragt werden.
Beispiel: Der o.a. Motorjournalist könnte sich z.B. andere Kunden außerhalb der klassischen Redaktionen und Verlage suchen: Ich erlebe selbst, wie Start-ups und etablierte Firmen geradezu betteln um gut geschriebene technische Texte für ihre Webseite und ihren Blog.
Bedrohung durch neue Wettbewerber:
Am Geldverdienen hindert es dich auch, wenn laufend neue Mitbewerber kommen. Das bedeutet, dass du wahrscheinlich nur noch ein kleineres Stück vom Kuchen abbekommst. Sinkende Preise sind die wahrscheinliche Folge. Du könntest sogar Stammkundschaft verlieren. Dein Ziel muss also sein, dir Nischen zu suchen, in denen der Markteintritt schwer ist. Verbessern kannst du deine Situation so:
- Du hast dich mit den Jahren gut positioniert, wofür neue Wettbewerber erst Aufwand betreiben müssen.
- Du suchst dir Bereiche, in denen es auf viel Erfahrung und Know-how ankommt.
- Du sicherst dir Vertriebskanäle, an die Neue nicht so leicht rankommen.
Beispiel: Der oben beschriebene Motorjournalist kann sich darum bemühen, bei seinen Stammkunden z.B. per VPN Zugang zum Redaktionssystem zu erhalten. Und dann die Tür für andere hinter sich zumachen…
Bedrohung durch Ersatzprodukte
Manche Bereiche im Journalismus gibt es bereits nicht mehr – den Wetterbericht für die Nachrichtenagenturen schreibt mittlerweile die KI, bei der Sportberichterstattung in den kleineren Ligen dürfte das auch bald der Fall sein. Die professionellen Autorenfotos im Lokalen werden durch Gratismaterial von Laien ersetzt. Du musst versuchen, dir einen Platz im Markt zu verschaffen, der nicht so schnell ersetzbar wird; z.B. so:
- Du hütest dich vor allzu simpel gestrickten, automatisierbaren Themen und setzt auf unverwechselbare Inhalte
- Du bemühst dich, dass stets prominent die Autorennennung erfolgt.
- Du positionierst dich in Traditionsbereichen, wo der Endkunde (der Leser, nicht der Verlag) keine Änderungen wünscht und so dein Komplize wird.
Wettbewerbsintensität in der Branche
Wie gehen in deinem kleinen Segment die unmittelbaren Wettbewerber miteinander um? Kennt man sich, hat man Respekt? Oder gibt es Kamikazejäger, die um jeden Preis und notfalls kostenlos ihre Beiträge loswerden wollen? Gibt es andere, die vielleicht gar keine Möglichkeit haben, sich zu verabschieden und schlicht dabei bleiben müssen – auch wenn die Branche schrumpft, wie das bei vielen Medienbereichen leider der Fall ist? Das kannst du tun, um einen guten Platz zu finden und zu halten:
- Halte gezielt nach Plätzen in deiner Minibranche Ausschau, wo der Wettbewerb geringer ist und am besten auch bleibt. Das sind oft die weniger glamourösen.
- Versuche, dich und die Ergebnisse deiner Arbeit zu unterscheiden. Was unterschiedlich ist, ist auch preislich nicht mehr so vergleichbar.
- Wo sich der direkte Wettbewerb nicht vermeiden lässt: Bevorzuge den Leistungs-, nicht den Preiswettbewerb!
- Investiere da hinein, dich mit den Kolleg(inn)en austauschen, fair miteinander umzugehen und idealerweise abgestimmt vorzugehen.
➜ Hinweis: Zu den 5 Forces und wie du sie nutzen kannst gibt es auch eine Toolbox.
Fazit
Vielleicht schwirrt dir jetzt zunächst der Kopf vor lauter Wettbewerbs- und Branchendiskussion. Wenn das so ist, dann lehne dich erst mal zurück, schlafe vielleicht mal drüber und begreife dann die vielen Ideen als Chancen, dein kleines Betriebsboot in attraktive Gewässer zu bringen – vielleicht nicht gleich heute, aber mit der Zeit. Und vergiss nie: Die erfolgreichsten Freien sind nicht unbedingt die Super-Schreibenden, sondern die cleveren Kleinunternehmen, die auch wissen, dass sie von ihrer Arbeit leben müssen.